Der Mangogarten

Die Seele ist glücklich, wenn alle Sinne genießen.

Ich höre Stille. Nein, ganz still ist es nicht. Ich höre Vögel zwitschern und das entfernte Geschrei von Affen, die sich nicht blicken lassen. Ich höre eine Machete gegen Bäume schlagen und klappernde Pferdehufe auf dem Transgambian Highway. Ich höre den Wind in den Blättern rauschen und die Fliegen und Mücken summen.

Ich bin an einem der friedlichsten Orte in Jahaly – Im Mango Garten.
Ich schließe die Augen und nehme wahr.

Ich rieche brennendes Feuerholz, das an ein Lagerfeuer erinnert. Dazu der Geruch der glühenden Holzkohle für den Tee, der getrockneten Teeblätter und des süßen Dampfes, der aus der Kanne kommt, in dem Atayaa kocht. Dazwischen bahnt sich der Geruch der süßen, reifen Mangos.

Ich fühle den Wind auf meiner Haut, den angenehm kühlen Schatten unter den Zweigen der Mangobäume, das weiche Moos zwischen meinen Fingern und den Staub unter meinen Füßen.

Ich öffne die Augen und sehe die großen Palmenblätter von Bananenpflanzen und die verzweigten Äste der Mangobäume, die ein schattiges Dach über dem grünen Moosboden bilden. Die Sonne blinzelt zwischen den Ästen und grünen Blättern hindurch. An den Stauden hängen kleine, grüne Bananen und von den Zweigen herab hängen unzählige Mangos. Große und kleine, grüne, gelbe und rote. Auf der Lichtung neben einem der Baumstämme sehe ich Männer auf gelben Wasserkanistern sitzen. Sie kochen Tee in einer kleinen blauen Teekanne über der Feuerstelle. Sie sprechen Mandinka und verstehen augenscheinlich kein Englisch. Wahrscheinlich auch nicht den Spruch, der auf dem dreckigen, einmal gelb gewesenen, ausgewaschenen T-Shirt steht, das einer der Männer trägt. Save Water, Drink Tequila. Außerdem trägt er eine Wasserflasche bei sich, die in einem Netz um seine Hüfte gebunden ist. In der Gabelung eines Baumstammes sind Kanister, Schuhe und Säcke verstaut.

Der Mango Garten ist eine riesige Plantage, die aufgeteilt ist in mehrere Bereiche, die verschiedenen Familien gehören. Sie verkaufen ihre frischen Mangos am Straßenrand, lassen aber auch gerne Besucher in ihr Reich, laden sie dann zum Teetrinken ein und klettern auf die Bäume, um ihnen eine Kostprobe ihrer goldenen Früchte zu geben.

Ringsherum liegen kleine Tümpel mit rosa Seelilien, auf den Wiesen grasen Kühe und in den Bäumen sitzen blau und lila schimmernde Vögel. Der Mann mit dem gelben T-Shirt gießt den Atayaa kunstvoll in hohem Strahl in die kleinen Gläser ein und kommt auf mich zu. Er hält mir das Glas mit dem schwarzen Tee hin und lächelt. Dann schneidet er eine gelbe Mango auf und reicht mir auch davon ein Stück. Weich und süß zergeht sie auf der Zunge. Der Tee ist heiß und noch süßer als die Mango. Er spricht auf Mandinka. Ich verstehe ihn nicht. „Abaraka“ sage ich, um mich zu bedanken. Dann strahlt er. Setzt sich zurück auf seinen gelben Plastikeimer und trinkt lächelnd seinen Tee.

So lässt sich wohl das Gefühl der Glückseligkeit beschreiben.

Jahaly – Das Leben im Dorf

Jahaly

Jahaly ist ein Dorf im Landesinneren von Gambia. Da es so weit von der Küste entfernt ist, ist es dort sehr heiß. In den Sommermonaten misst die Mittagshitze zwischen 38 und 40 Grad. Die Bewohner von Jahaly leben in Lehmhütten mit Strohdächern, die in kleinen Wohngemeinschaften angeordnet sind. In einem Compund leben meistens eine oder zwei große Familien zusammen. Es gibt keine Elektrizität und das Wasser wird mit einem Eimer aus Brunnen hochgeholt. Zu jedem Compund gehört eine Koch-Hütte, in denen die Frauen auf einer Feuerstelle zwei Mal täglich in großen Töpfen Essen für die Männer, Frauen und Kinder im Compund kochen. Nicht selten kommt es vor, dass kleine Kinder unbeaufsichtigt herumlaufen und sich an den offenen Feuerstellen schwere Verbrennungen am ganzen Körper zuziehen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Deshalb ist die „Projekthilfe Dritte Welt e.V.“, die hinter dem Health Center und dem Kindergarten im Dorf steht auch dabei, Öfen im Dorf zu errichten.

Außerdem gibt es in Jahaly mehrere Schneider, die ihr Geschäft in einem kleinen Raum haben und meistens mit ihrer alten Nähmaschine am Straßen- oder Wegrand sitzen und Stoffe zu Hosen, Trachten, Kleidern und Kopftüchern zusammennähen. Jeder Schneider hat seine eigenen Preise und Nyima, ein Mädchen aus dem Dorf erklärt mir, 75 Dalasi (weniger als 2€) für das Nähen einer Hose sei ein „Tubab-Preis“. Also viel zu viel. Bei Preisen wird hier stark zwischen Einheimischen und Touristen unterschieden. Tubab ist Wolof für „Weiße“ oder „Weißer“. Läuft man als Weiße durch Jahaly oder andere Dörfer, rufen die Kinder laut „Tubaab! Tubaab!“ und folgen einem meistens längere Zeit. Das mag daran liegen, dass sie nicht oft Weiße sehen, aber auch Weiße als eine Art Spielzeug ansehen. Die Touristen, die mit Süßigkeiten nach Afrika reisen und jedem Kind einen Lolli schenken, bestätigen damit nur noch dieses Klischee in den Köpfen der Kinder, alle Weißen seien reich und fördern diese Gewohnheit der Kinder, hinter Weißen herzulaufen und zu rufen: „Tubab! Give me money“.

Die nächsten Dörfer hinter Jahaly sind Madina und Brikama Ba. Dazwischen liegt viel Natur. Weite Felder, Wiesen, Bäume, Palmen, Reisfelder, Plantagen und auch viele Tiere wie Kühe, Schafe oder Ziegen werden hier gehalten. Was manchmal aussieht wie Land, das verwildert, gehört in Wirklichkeit jemanden. Denn in diesem Bereich Gambias hat jedes Stück Land einen Eigentümer und dürfte nicht einfach so bebaut oder bepflanzt werden.

Brikama Ba

Möchte man von Jahaly in die nächst größere Stadt Brikama Ba fahren, wartet man am besten am Transgambian Highway auf ein „Gele Gele“. Das sind bunt geschmückte, meistens viel zu überfüllte Vans in schlechter Verfassung, die man schon von weitem an ihrem knatternden Motor erkennen kann. 10 Dalasi kostet die Fahrt nach Brikama Ba und es ist jedes Mal ein Erlebnis, diese kleine Reise anzutreten. Auf den neun vorgesehenen Plätzen finden dann auch mal 12 Männer und Frauen mit ihren Säuglingen Platz und es ist nicht selten, dass man auch mal ein Kind, eine Tasche mit Einkäufen oder ein Huhn auf den Schoß gedrückt bekommt. Der Fahrer nimmt jeden mit, der am Wegrand steht und winkt. Manche haben auch Ziegen, Fahrräder oder Reissäcke zu transportieren, die werden dann zusammen auf’s Dach gehievt.

Ein Mal passierte es, dass das Auto auf halber Strecke immer langsamer wurde, ungesunde Geräusche von sich gab und schließlich zum stehen kam. Als ich fragte, ob der Tank leer sei, antwortete der Fahrer Nein nein, der Tank sei voll, aber das Benzin sei mit Wasser gemischt, deswegen würde das Auto manchmal nicht so schnell fahren können. Nach ein paar Versuchen fuhr der Wagen wieder an, holperte ein paar Meter und fuhr dann mit etwa 10 Stundenkilometern weiter. Wir wurden von Eseln und Fahrradfahrern überholt. Neben mir saß ganz entspannt eine Frau, schaute aus dem Fenster und hielt ihr Baby im Arm, das seelenruhig schlief.

Eine Alternative um nach Brikama Ba zu kommen ist Pferde- oder Eselkutschen zu nehmen.
Am Samstag ist „Lumo“ in Brikama Ba, das ist ein Markt, zu dem Händler von weit her kommen. Dadurch gibt es ein größeres Angebot und es ist dementsprechend auch mehr los. Der Lumo ist wirklich ein Erlebnis. Es gibt riesige Berge von Mangos, bunte Stoffe und Maiskolben vom Grill, und zum Frühstück frisches Tappalappa, das ist baguetteähnliches Brot. Verlässt man den Transgambian Highway und taucht weiter ins Zentrum des Markts ein, stößt man auf einen großen Platz, auf dem eine überdachte Hütte neben der anderen steht und vor jeder davon kocht in großen Töpfen Fleisch und Reis. Dort habe ich auch zum ersten Mal Herz gegessen. Es war ein Schafsherz und hat überraschend gut geschmeckt.

Jedoch gibt es auf dem Markt auch viel Müll, der auf dem Boden herumliegt oder verbrannt wird, da es in Gambia kein funktionierendes Recyclingsystem gibt. In einigen Gassen stinkt es nach verbranntem Plastik. In der Nähe von Manjai Kunda an der Küste gibt es eine mehrere Hektar große Müllverbrennungsanlage, die bestialisch stinkt, wenn man daran vorbei fährt.
Ein eher gewöhnungsbedürftiger Anblick auf dem Markt ist auch der Verkauf von Fisch und Fleisch. Ungekühlt liegen die getrockneten oder auch frischen Fische auf Wellblechen oder Decken inmitten von Fliegen und Abfall und das Fleisch hängt an Metallhaken herum, bis es verkauft wird. Zum Schneiden von allem möglichen wird das gleiche Messer benutzt und man transportiert den Fisch dann einfach in einer Plastiktüte nach Hause.

Die Buschklinik

Im Landesinneren von Gambia, südlich vom Fluss und etwa 280 Kilometer von der Hauptstadt Banjul entfernt liegt das kleine Dorf Jahaly. Direkt am Transgambian Highway, der Hauptstraße, die einmal quer durchs Land führt, liegt die Buschklinik. Das Krankenhaus und der dazugehörige Kindergarten ist Teil des Vereins „Projekthilfe Dritte Welt“, der 1999 von dem deutschen Projektleiter Matthias Ketteler ins Leben gerufen wurde. Zum Krankenhaus gehört eine Apotheke, ein überdachter Warteraum im Freien, drei Sprechzimmer und ein Behandlungsraum, in dem die Patienten liegen. Alles ist sehr einfach ausgestattet, und alle Patienten liegen in einem Raum, doch es ist sehr hygienisch. Die Buschklinik gilt als eines der besten Krankenhäuser im Land. Auch an Medikamenten mangelt es nicht. Die werden regelmäßig aus den Niederlanden bestellt und alle paar Wochen fährt einer aus dem Büro des Projekts in Kombo raus in die Provinz um neue Medikamente zu bringen und nach dem Rechten zu schauen. Ärzte gibt es in der Klinik jedoch nicht. Dort arbeiten ausgebildete Krankenpfleger. Einige von ihnen haben jedoch Fortbildungen im Ausland gemacht oder in Deutschland studiert. So wie der Zahnarzt, der sich jeden Tag viele schlechte Zähne anschauen muss. Denn Zahnpflege ist ein großes Problem in Gambia. Aufgrund von Mangel an Zahnbürsten oder Zahnpasta müssen schon Kindern oft mehrere Zähne gezogen werden.

An die Klinik grenzt der Jahaly Madina Kindergarten, der gleichzeitig eine Vorschule ist. Er gehört ebenfalls zur Buschklinik und wird von Kindern aus Jahaly und den angrenzenden Dörfern Madina und Brikama Ba besucht. Gesponsert wurde der Kindergarten 2004 vom RTL-Spendenmarathon. In rot-weiß karierter Schuluniform stürmen jeden Morgen um 08:30 Uhr, wenn die Glocke geläutet wird, mehr als 250 Kinder in ihre Klassenräume. Im Alter von drei bis sieben Jahren werden sie hier in den Fächern Language, Numbers, Social and Environmental Studies, Art Craft, Entertainment Class und Religion unterrichtet. Das bedeutet, dass sie aufgeteilt in Level 1, 2 und 3 lernen Zahlen und Buchstaben zu lesen und zu schreiben oder Tiere, Wochentage und Farben zu benennen. Auch in Hygiene werden die Schüler unterrichtet. Sich morgens zu duschen und mit sauberer Uniform in die Schule zu kommen ist wichtig. Wer keine Zahnbürste hat nehme eben einen Stock und säubere sich damit die Zähne. Der Unterricht läuft in der Regel so ab, dass der Lehrer Merksätze oder Zahlenreihen vorspricht und 40 Kinder sie gemeinsam nachsprechen. Dann werden einzelne Kinder mit dem Zeigestock an der Tafel geprüft. Der Unterricht findet auf Englisch statt, auch wenn einige Kinder sich damit noch schwer tun. Die meisten Kinder sprechen Serahule oder Mandinka, die Sprachen aus den umliegenden Dörfern. In Religion bringt der Lehrer den Schülern das arabische Alphabet bei und spricht Koranverse vor, die sie nachbeten. Steht jedoch Entertainment Class auf dem Stundenplan, kommt ein Lehrer mit einer großen Trommel in den Klassenraum und alle Kinder wissen was zu tun ist – Sobald er anfängt schnelle Rythmen zu trommeln, springen alle Kinder von ihren Stühlen und fangen an zu tanzen. Da gibt es keinen der sitzen bleibt oder schüchtern ist. Alle springen, schütteln Arme und Beine und lachen. Manchmal singen sie auch dazu – natürlich auf Englisch. Auch in den anderen Unterrichtsfächern gibt es für fast alles ein Lied. Für die sieben Wochentage, Transportmittel oder Aufzählreime. Im Kunstunterricht mischen die Kinder Farben oder malen Bilder aus. In den niedrigeren Klassen wird auch darauf geachtet, dass das Spielen nicht zu kurz kommt. Es gibt Kuscheltiere und Bauklötze in den Klassenräumen und auch in den Pausen scheint den Kindern die Mittagshitze, die manchmal 36 Grad erreicht, nichts auszumachen. Sie Jungs stürmen nach draußen und spielen im roten Staub Fußball, die Mädchen sind ganz euphorisch wenn es ums Seilchenspringen geht. Was sich schnell als schwierig herausstellt ist, den Kindern neue Spiele beizubringen. Oft machen ihre schlechten Englischkenntnisse der Verständigung einen Strich durch die Rechnung. Doch nach einer halben Stunde Hin- und Herschieben und wildem Gestikulieren sitzen auch 30 Kinder im Kreis und spielen Plumpssack.

Sowohl die Lehrer als auch die Kinder sind sehr motiviert und die meisten der Kleinen können nach dem Kindergarten in der gegenüberliegenden Grundschule dann schon eine oder zwei Klassen überspringen.

The smiling coast

Der Flug von Dakar nach Banjul hat nicht mal eine halbe Stunde gedauert.

Gambia ist englischsprachig und liegt im Senegal südlich von Dakar. Der gleichnamige Fluss durchtrennt das Land mit weniger als 2 Millionen Einwohnern.

Das erste was in der Warteschlange am Flughafen in Banjul auffällt ist eine laufende Leuchtreklame:

We have no tolerance for child abuse or exploitation Enjoy your stay – Welcome to the Gambia – The smiling coast of Africa

Sympathisches Land.

Als ich in der trockenen Hitze auf den weißen Jeep warte, der mich zu dem Projekt bringen soll, werde ich nacheinander von vier Taxifahrern angesprochen, ob man mir weiterhelfen kann. Als ich beim vierten etwas genervt verneine, lächelt er mich an, legt seinen Kopf schief und fragt: „Why don’t you smile?“ Ich muss lachen. „Even prettier now“, schmeichelt er mir.

Ein anderer fragt mich, woher ich komme und als er erfährt, dass ich Deutsche bin, fragt er mich sofort ob ich denn Gentleman kenne. Der sei sein Lieblingsmusiker und er möchte wissen, ob ich ihn in Köln schon mal live gesehen habe.

Als der Jeep kommt, trägt er meinen Rucksack zum Kofferraum.

Welcome to the Smiling Coast!